Joachim Ringelnatz

 

 

 

Im Park

Ein kleines Reh stand am ganz kleinen Baum

Still und verklärt wie im Traum.

Das war des Nachts elf Uhr zwei.

Und dann kam ich um vier

Morgens wieder vorbei,

Und da träumte noch immer das Tier.

Nun schlich ich mich leise - ich atmete kaum -

Gegen den Wind an den Baum,

Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.

Und da war es aus Gips.

 

 

Bumerang

War einmal ein Bumerang;

War ein Weniges zu lang.

Bumerang flog ein Stück,

Aber kam nicht mehr zurück.

Publikum - noch stunden lang -

Wartete auf Bumerang.

 

 

Kindergebetchen

 

Erstes

Lieber Gott, ich liege

Im Bett. Ich weiß ich wiege

Seit gestern fünfunddreißig Pfund.

Halte Pa und Ma gesund.

Ich bin ein armes Zwiebelchen,

Nimm mir das nicht übelchen.

 

Zweites

Lieber Gott, recht gute Nacht.

Ich hab noch schnell Pipi gemacht,

Damit ich von dir träume.

Ich stelle mir den Himmel vor

Wie hinterm Brandenburger Tor

Die Lindenbäume.

Nimm meine Worte freundlich hin,

Weil ich schon sehr erwachsen bin.

 

Drittes

Lieber Gott und Christussohn,

Ach schenk mir doch ein Grammophon.

Ich bin ein ungezognes Kind,

Weil meine Eltern Säufer sind.

 

Verzeih mir, dass ich gähne.

Beschütze mich in aller Not,

Mach meine Eltern noch nicht tot

Und schenk der Oma Zähne.

 

 

 

Ein männlicher Briefmark erlebte

Ein männlicher Briefmark erlebte

Was Schönes, bevor er klebte.

Er war von einer Prinzessin beleckt,

Da war die Liebe in ihm erweckt.

 

Er wollte sie wiederküssen,

Da hat er verreisen müssen.

So liebte er sie vergebens.

Das ist Tragik des Lebens.

 

Die Ameisen

In Hamburg lebten zwei Ameisen,

Die wollten nach Australien reisen.

Bei Altona auf der Chaussee,

Da taten ihnen die Beine weh,

Und da verzichteten sie weise

Dann auf den letzten Teil der Reise.

 

 

Reklame
Ich wollte von gar nichts wissen.
Da habe ich eine Reklame erblickt.
Die hat mich in die Augen gezwickt
Und ins Gedächtnis gebissen.
 
Sie predigte mir von früh bis spät
Laut öffentlich wie im stillen
Von der vorzüglichen Qualität
Gewisser Bettnässer-Pillen.
 
Ich sagte: "Mag sein! Doch für mich nicht ! Nein, nein !
Mein Bett und mein Gewissen sind rein!"
 
Doch sie lief weiter hinter mir her.
Sie folgte mir bis an die Brille.
Sie kam mir aus jedem Journal in die Quer
Und säuselte: "Bettnässer-Pille."
 
Sie war bald rosa, bald lieblich grün.
Sie sprach in Reimen von Dichtern.
Sie fuhr in der Trambahn und kletterte kühn
Nachts auf die Dächer mit Lichtern.
 
Und weil sie so zähe und künstlerisch
Blieb, war ich ihr endlich zu Willen.
Es liegen auf meinem Frühstückstisch
Nun täglich zwei Bettnässer-Pillen.
 
Die ißt meine Frau als "Entfettungsbonbon".
Ich habe die Frau belogen.
Ein holder Frieden ist in den Salon
Meiner Seele eingezogen.

 

Der Bücherfreund

Ob ich Biblio- was bin?
Phile? "Freund von Büchern" meinen Sie?
Na, und ob ich das bin!
Ha! und wie!

Mir sind Bücher, was den anderen Leuten
Weiber, Tanz, Gesellschaft, Kartenspiel,
Turnsport, Wein und weiß ich was, bedeuten.
Meine Bücher --- wie beliebt? Wieviel?

Was, zum Henker, kümmert mich die Zahl.
Bitte, doch mich auszureden lassen.
Jedenfalls: viel mehr, als mein Regal
Halb imstande ist zu fassen.

Unterhaltung? Ja, bei Gott, das geben
Sie mir reichlich. Morgens zwölfmal nur
Nüchtern zwanzig Brockhausbände heben ---
Hei ! das gibt den Muskeln die Latur.

Oh, ich mußte meine Bücherei,
Wenn ich je verreiste, stets vermissen.
Ob ein Stuhl zu hoch, zu niedrig sei,
Sechzig Bücher sind wie sechzig Kissen.

Ja natürlich auch vom künstlerischen
Standpunkt. Denn ich weiß die Rücken
So nach Gold und Lederton zu mischen,
Daß sie wie ein Bild die Stube schmücken.

Äußerlich? Mein Bester, Sie vergessen
Meine ungeheure Leidenschaft,
Pflanzen fürs Herbarium zu pressen.
Bücher lasten, Bücher haben Kraft.

Junger Freund, Sie sind recht unerfahren,
Und Sie fragen etwas reichlich frei.
Auch bei andern Menschen als Barbaren
Gehen schließlich Bücher mal entzwei.

Wie ? - ich jemals auch in Büchern lese??
Oh, sie unerhörter Ese---
Nein, pardon! - Doch positus, ich säße
Auf dem Lokus und Sie harrten
Draußen meiner Rückkehr, ach dann nur
Ja nicht länger auf mich warten.
Denn der Lokus ist bei mir ein Garten,
Den man abseits ohne Zeit und Uhr
Düngt und erntet dann Literatur.

Bücher - Nein, ich bitte Sie inständig:
Nicht mehr fragen! Laß dich doch belehren!
Bücher, auch wenn sie nicht eigenhändig
Handsigniert sind, soll man hochverehren.

Bücher werden, wenn man will, lebendig.
Über Bücher kann man ganz befehlen.
Und wer Bücher kauft, der kauft sich Seelen,
Und die Seelen können sich nicht wehren.